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Ba-Ba-Banküberfall
Siegergeschichte im Schreibwettbewerb. Veröffentlicht in
»Mord auf mehr als drei Seiten«,
der Anthologie des Verlags Textgemeinschaft
(© Coverfoto: Textgemeinschaft.de)
Zur Autorenlesung auf YouTube geht´s weiter unten.
Er späht von der Straße aus durch das Fenster in die kleine Bankfiliale. Günstiger können die beiden Angestellten und die zwei Kunden für sein Vorhaben nicht stehen. Ein Wort von ihm, und sie werden sich in einer kleinen Gruppe zusammendrängen, er wird sie leicht im Auge behalten und die Bewegungsfreiheit haben, die er braucht. Er schaut sich sichernd um und zieht, da er sich von den zufälligen Passanten in der morgendlich schwach bevölkerten Straße unbeobachtet fühlt, die Motorrad- oder Sturmhaube über den Kopf. Auch ohne die würde ihn niemand erkennen mit seiner Schminke und mit dem angeklebten Bart und den Koteletten. Aber die Haube gehört dazu! Er packt die Griffstange und stemmt die Tür gegen den kräftigen Türschließer nach innen auf. Die leichte Sporttasche aus einer reißfesten Kunstfaser hält er mit dem linken Arm gegen seinen Körper gepresst. So hat er die rechte Hand frei, die nun in seine Jackentasche fährt.
»Ü … Ü … Überfall!«
Es ist mucksmäuschenstill. Die Kunden und die Angestellten des Geldinstituts erstarren. Dass die Waffe in seiner Rechten eine Replika ist, können sie nicht erkennen. Dennoch ... das jetzt verhalten ausgestoßene Kichern des einen Bankkunden darf er nicht durchgehen lassen, auch wenn – oder gerade weil – der seine Nervosität aus dem Stottern herausgehört haben mag. Er hat wirklich einen Kloß im Hals.
»Es gibt immer ein erstes Mal1«, macht er sich bewusst und nimmt seinen Mut zusammen. Er streckt sich, wächst fünf Zentimeter. Den Eindruck von neu gewonnener Überlegenheit unterstreicht er, indem er mit der Pistole fuchtelt. Er geht auf den Lacher zu, bis er unmittelbar vor ihm steht, reckt das Kinn forsch nach oben und schickt seinen stechenden Blick direkt in dessen Augen.
Der junge Mann im Parka hat verstanden. Er senkt den Kopf und tritt zerknirscht einen Schritt zurück.
Ein weiterer Wink lässt die beiden jungen Damen hinter dem Tresen hervorkommen und sich wortlos zu den Kunden gesellen. Das klappt ja bestens! Doch halt! Eine der beiden Bankangestellten hält er zurück.
»Auf … aufschließen!« befiehlt er.
Sie verharrt, wendet sich um. Nach vier Schritten hat sie das gläserne Kassenabteil erreicht, schließt die Tür auf und lässt auf sein »Steck … stecken lassen!« hin den Schlüssel im Schloss. Dann tritt sie um den Tresen herum zu ihrer Kollegin. Ganz nah kommt sie an ihm vorbei, beinahe auf Tuchfühlung.
Tief saugt er die Luft ein, ist betört von ihrem jugendlich-frischen Parfum, von dem er den Duft nach Jasmin und Zitrone zu schnuppern glaubt. Spontan findet er die junge Frau sympathisch, mit ihr würde er gerne etwas anfangen. Fast vergisst er vor Träumerei seinen Überfall, ein halblautes Knurren aus dem Schalterraum mit den jungen Leuten schreckt ihn aus seinem kurzen Tagtraum auf.
Behutsam huscht er hinter den Tresen und an den beiden Bürostühlen vorbei, die jeweils einen Arbeitsplatz markieren. Kundenberatung. Unentschlossen betrachtet er den Glaskasten, aus dem heraus die Bankkassiererin üblicherweise Auszahlungen tätigt und in dem sie Einzahlungen entgegennimmt. Ein Relikt aus uralten Zeiten, als das Geld noch im Kassenraum aufbewahrt und nicht auf Knopfdruck über irgendeine Elektronik von einem Automaten abgezählt in ein kleines Fach gespien wurde. Aber genau deshalb hatte ja der Überfall hier stattgefunden!
Alles ist ausbaldowert. Und er findet es genauso vor wie erwartet. Nur die Türe des Kastens ist wieder zugefallen, ihr Schloss eingerastet. Das ist unerheblich, der Schlüssel steckt ja, aber das Aufschließen kostet ihn eine Sekunde. Die eine Sekunde, in der so viel passieren kann! Vor allem, wenn sie sich beim Verlassen wiederholen will. Dem muss er vorbeugen. Er vergewissert sich, dass die vier vor dem Schalter noch wie angewurzelt stehen und zu ihm herüberschauen. Er richtet den Blick auf den Boden, sucht den Holzkeil, mit dem Büroangestellte für gewöhnlich eine Tür am Zufallen hindern, findet keinen. Seine Augen untersuchen den Tresen, die beiden Arbeitsplätze. Der Bürostuhl! Er wäre sofort herangezogen, könnte die Türe offenhalten. Aber was, wenn der Stuhl wegrollt? Außerdem würde er seinen Fluchtweg einengen. Letztendlich dreht er einfach den Schlüssel um, sodass der Riegel die Tür einen Spaltbreit offenhält.
Er betritt den Glaskasten. Ein beklemmendes Gefühl schnürt ihm die Brust zusammen. Er leidet nicht an Klaustrophobie, nicht die Enge macht ihm zu schaffen. Es ist eine irreal wirkende Überzeugung, dass ihm nichts geschehen kann, obwohl er während seines Aufenthalts hier drin seine Macht über die jungen Leute aufgibt. Er reißt sich zusammen, geht vor dem Kassenregal halb in die Hocke, weiß, wohin er zu greifen hat, was er einpacken muss. Die ersten Bündel hält er in der Hand, er richtet sich ein Stück weit auf, schwenkt sie triumphierend in Richtung seines vierköpfigen Publikums und lässt sie in seine Sporttasche fallen, Weitere Bündel Banknoten verschwinden darin, bevor er sich etwas nach links beugt und aus einem anderen Fach noch einmal einige Bündel in die Tasche wirft. Das Geld ist sein! Er gluckst vor Euphorie, so einfach hatte er sich das nicht vorgestellt.
Nun muss er nur noch die Filiale verlassen. Er hängt sich die Tasche an einem Riemen über die Schulter, drückt die Türe auf, verlässt die Glaszelle. Schnellen Schrittes umrundet er den Tresen. Jetzt kommt der gefährlichste Moment. Er muss seine Waffe wegstecken, um die Tür zur Straße aufzuziehen. Wie stark der Türöffner sich ihm entgegenstemmt, hat er beim Hereinkommen gelernt. Es wird ihn Sekunden kosten, in denen seine Geiseln – nein, seine Mitmenschen, er würde ihnen nie etwas zu Leide tun! – ihn behindern oder gar auf- und festhalten können. Er hebt ein letztes Mal seine Waffe, richtet sie ungenau auf die vier und versenkt sie in der Jackenasche. Ein Lächeln umspielt seine Lippen, diesen Scherz muss er sich noch erlauben: Er legt den Zeigefinger auf den Mund, während er mit der Linken die Tür aufzieht. Einen Lidschlag später steht er auf dem Bürgersteig.
Er dreht sein Gesicht nach rechts, schaut einen bewusst gedehnten Augenblick lang in die Kamera, bis ihm der Regisseur neben dem Kameramann ein Zeichen gibt. Sofort wendet er sich nach links und beginnt zu rennen. Hinter der Reklametafel zwanzig Meter weiter verschwindet er. Die Kamera kann ihn hier nicht erfassen.
Das mit fester Stimme gerufene Kommando »Schnitt!« mischt sich mit dem Klacken der Beifahrertür des unauffälligen Golf IV, die ihm sein Kumpel von innen aufhält.
Den Motor hat er laufenlassen, sofort rollt der Golf aus der Parkbucht und verliert sich im Verkehrsfluss. Der Bankräuber zieht die Haube vom Kopf. So kann er sich im Vorbeifahren besser auf die Bankfiliale konzentrieren, erhascht durch das Fenster tatsächlich einen Blick auf das Kamerateam im Inneren. Es hat sich mit den vier Komparsen vermischt, man bespricht die gerade aufgenommene Szene. Köpfe drehen sich zur Tür, Blicke treffen sich mit denen des Teams auf dem Bürgersteig. Schultern zucken. Der Schauspieler, der den Bankräuber gemimt hat, ist verschwunden.
»Und, wie lief´s?«
»Da … das siehst du doch, i … ich bin hier«, strahlt der von der Seite her seinen Freund am Steuer an. »Und da … das echte Geld habe ich auch.«
Er hatte sich ja nicht an die Absprache halten müssen, die die Filialleitung und der Filmproduzent getroffen hatten. Der echte Schauspieler hätte nur die Bündel eingesteckt, bei denen die äußeren Banknoten – aus rechtlichen Gründen unecht wirkend gedruckt – weißes Papier umschlossen. Deshalb durfte auch niemand seinen Griff ins Regal links davon bemerken. Er lehnt sich im Sitz zurück, lässt seinen Überfall Revue passieren. Gut gelaufen! Die Kamerateams sollten in einer historischen Dokumentation für einen lokalen Fernsehsender einen Bankraub wiederbeleben, der Jahrzehnte zurücklag. Er schmunzelte. Dass er so echt werden würde, hatten sie nicht vorhergesehen.
»Wie viel isses eigentlich?«
»A …a … acht Bündel Fünfziger. Nach dem Kleingeld dahinter hätte ich mich zu sehr bücken müssen.« Er lächelt säuerlich im Gedanken an die Anstrengung, mit der er dieser Versuchung hatte widerstehen müssen. »Mei … meinst du, unser Filmstar ist schon wach?«
Sein Freund am Steuer grinst amüsiert.
»Nee, der wird wohl noch immer seinen Rausch ausschlafen.«
Gestern hatten sie zufällig neben ihm am Tresen gestanden, als sie eine neue Kneipe probierten. Sie kamen ins Gespräch, später am Tisch beschrieb er haarklein seine Rolle und spielte sie ihnen mit Gesten vor. Sie zeigten sich beeindruckt, das Autogramm auf dem Bierdeckel gab er ihnen gern, vielleicht wäre das der Beginn einer steilen Karriere. Sie gaben ihm ein Bier nach dem anderen aus und peppten, was er nicht sehen durfte und auch nicht bemerkte, jedes mit einem oder zwei Korn auf. Gegen Mitternacht brachten sie ihn in einer nahen Schrebergartenhütte zu Bett, für die der Schlüssel unter der Fußmatte lag.
Die Verabredung heute Abend würden sie natürlich nicht einhalten.
Ba-Ba-Banküberfall
Online-Autorenlesung (YouTube)